Menu
Menü
X

Christliche Tattoos

Wenn Glaube bis unter die Haut geht

Oliver und Susan Wallace betreiben das Langener Studio „Warrior Tattoos“.  Nach über 20 Jahren Berufspraxis sagt der 56-jährige Tätowierer: „Die meisten christlichen Motive sind für Gott.“

Oliver und Susan Wallace betreiben das Langener Studio „Warrior Tattoos“. Nach über 20 Jahren Berufspraxis sagt der 56-jährige Tätowierer: „Die meisten christlichen Motive sind für Gott.“

Engel, Kreuze, betende Hände: Religiöse Motive spielen in Tattoo-Studios eine immer größere Rolle.

Es gibt sie in schreiend-bunt, in kräftigem Schwarz und sogar in ganz unauffälligem Weiß, filigran oder großflächig, oft mit tiefer Bedeutung - und manchmal einfach, weil sie als schön empfunden werden: Tätowierungen. Was in der Fantasie vieler kritischer Betrachter eher Rockern und Seeleuten vorbehalten ist, findet sich inzwischen auch in Bankentürmen und Kirchenbänken. Ein Fünftel der Deutschen schmückt sich mittlerweile mit Farbe unter der Haut. Deutschlandweit gibt es über 7.000 registrierte Tattoo-Studios. Ein Trend dabei ist, dem eigenen Glauben, der Hoffnung und der Liebe Ausdruck zu verleihen. 

Fester und lebenslanger Bestandteil des Körpers

Die Umrandung eines Kreuzes ziert kontrastreich den Oberarm von Rebekka Adler. Das christliche Symbol von Jesu Tod und Auferstehung ist eine von drei Tätowierungen, die die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Egelsbach mittlerweile ihr Eigen nennt - und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie sind ein fester und lebenslanger Bestandteil ihres Körpers geworden. „Das Kreuz auf dem Oberarm war mein drittes Tattoo, und es ist als persönliche, permanente Erinnerung nach dem Tod meiner Oma dazugekommen.“ 

Egal, ob religiös oder weltlich - viele Tattoos erzählen Lebensgeschichten, dokumentieren Krisen und Verluste, aber auch Momente des Glücks und der Erfüllung. „Wenn wichtige Dinge passiert sind, habe ich mir eins stechen lassen“, erzählt die Theologin. 

Tattoos als Anlass ins Gespräch zu kommen

„Die meisten finden’s gut, und wer mich mag und gut findet, tut das mit oder ohne Tattoos“, sagt Rebekka Adler selbstbewusst. Gute Erfahrungen mit offenen Menschen haben ihr anfängliches „bisschen Angst, dass manche das merkwürdig finden“, nicht bestätigt. Manchmal ist die kolorierte Haut sogar ein Anlass, ins Gespräch zu kommen. Wobei sicherlich nicht alle Begegnungen dafür gleichermaßen geeignet seien - etwa in Momenten, in denen der Mensch Rebekka Adler hinter ihre Professionalität als Seelsorgerin und das Amt als Pfarrerin zurücktritt. 

Tätowierungen treten vor Aufgaben als Pfarrerin in Hintergrund

Als „Ansprechpartnerin in allen Lebenslagen“ - und eben nicht nur in den bunten - stellt die Internetseite der Kirchengemeinde sie vor. „Zum Beispiel bei Trauergesprächen mit den Angehörigen verstorbener Menschen kleide ich mich schon so, dass man die Tätowierungen nicht direkt sieht. Ein bisschen Neutralität ist manchmal nicht schlecht.“

Tradition christlicher Tätowierungen

Die Tradition christlicher Tätowierungen reicht weit in die Geschichte zurück. Verbürgt sind etwa Pilgerzeichen auf der Haut seit Jahrhunderten; und schon den ersten Christen sollen der bekannte stilisierte Fisch oder die Initialen ihres Erlösers in Form eines „X“ oder mit dem Monogramm „I. N.“ untereinander als Erkennungszeichen gedient haben. 

Intensiv mit christlichen Tattoos und ihrer Tradition hat sich der katholische Theologe und Autor Paul-Henri Campbell auseinandergesetzt. Der Referent für Erwachsenenbildung im Bistum Limburg und Tattoo-Experte dokumentiert in seinem Buch „Tattoo und Religion: Die bunten Kathedralen des Selbst“ Gespräche mit Tätowierern und Tätowierten. 

„Es gibt keine Tätowierung ohne Geschichte, kein Erlebnis, das nicht durch die Tätowierung zum Zeichen am Körper geworden ist.“ Und religiöse Tattoos erzählen oft auch von der Gewissheit oder Hoffnung, dass Gott oder gute Mächte den Lebensweg mitgehen oder begleiten: „Tätowierte konnten dem, was ihnen wichtig war, was sie zeigen wollten, was ihnen gefiel, was sie verändert hatte, ein ganz konkretes Zeichen geben.“ Dabei seien viele Tätowierungen auch ein öffentliches Bekenntnis zum eigenen Glauben, wie für andere der Besuch eines Gottesdienstes oder die Teilnahme an einer Prozession. 

„Der Herr ist mein Hirte“ ist besonders beliebt

Auf Oliver und Susan Wallace, die zusammen das Langener Studio „Warrior Tattoos“ betreiben, trifft beides zu, und beides kennen sie auch aus über 20 Jahren Praxis von ihrer Kundschaft: die Bedeutung nach innen ebenso wie das Zeichen nach außen. „Heute kommen die meisten Kunden mit fertigen Bildern, die sie im Internet gefunden haben“, berichtet der 56-Jährige. Schutz- und andere Engel, Dürers „Betende Hände“, die oft im Gegensatz zum Original noch mit einem Rosenkranz versehen sind, oder Sinnsprüche und Bibelverse stehen bei den Leuten aus Langen und Umgebung im religiösen Segment ganz oben auf der Wunschliste: „Der Herr ist mein Hirte“, also der Beginn des 23. Psalms, ist dabei besonders beliebt, weil er eine Hoffnung ausdrückt, gut behütet zu sein.

Christliche Motive keine Modeerscheinung

Bei dem Ehepaar, das seit 23 Jahren in Langen lebt, findet sich viel Bekenntnis auf der Haut: „The Lord is my shepherd“ quer übers Brustbein, „GOOD SOUL“ auf den Fingern, ein Engel auf der Wade oder ein Kreuz auf der Handwurzel. Und auch im Laden an der Darmstädter Straße sind Jesus und Maria auf Bildern präsent. Oliver Wallace glaubt nicht, dass es sich bei solcherlei Motiven um eine Modeerscheinung handelt: „Das ist dann schon speziell für Gott und Jesus Christus. Wer das machen lässt, will nicht nur irgendwelchen Hautschmuck haben.“ Auf fünf Prozent schätzt Wallace den Anteil an Kunden, die nach Religiösem fragen. Tendenz: steigend. Auf keinen Fall kommen ihm „satanische Geschichten, Pentagramme und andere dämonische Sachen“ unter die Nadel. „Wer so etwas haben will, ist bei mir falsch“, sagt Wallace überzeugt. 

Meist Kreuz- oder Engeltattoos

Deutlich höher schätzt sein Kollege Peter Passon den Anteil der Menschen ein, die das Interesse an Kreuz und Co. zum Tätowierer führt: bestimmt ein Fünftel, meint der Inhaber des Studios „Tattoo Machine“ an der Bahnstraße in Langen. Leute mit spanischen oder italienischen Wurzeln häufiger als Deutschstämmige. „Manchmal sind es tragische Verluste, die Menschen zu einem religiösen Tattoo bringen“, sagt er. Auch bei seinen Kunden sind es zumeist Kreuz- oder Engeltattoos, die Menschen helfen, einen Verlust zu bewältigen oder Erinnerungen festzuhalten. Und neuerdings auch, um Zugehörigkeit auszudrücken: „Ich hatte auch schon Flüchtlinge zum Beispiel aus Eritrea hier, die ihre christliche Religion auf der Haut zeigen wollen, aus Angst, stigmatisiert zu werden.“ 

Christliche Symbole nicht nur bei Christen unter der Haut

Seiner Erfahrung nach sind nicht alle Träger christlicher Tattoos Überzeugungstäter: „Manche machen das auch einfach, weil das Symbol cool ist.“ Den meisten bedeute es aber schon etwas, ein kleines Stückchen Gott unter der Haut zu haben: „Beim Tätowieren erzählen die Leute mir viel, auch von dem, was sie persönlich mit dem Motiv verbinden.“ Und natürlich im Vorgespräch - denn nicht jeder Klient kommt mit einem fertigen Motiv auf dem Smartphone zu ihm. Nach wie vor entstehen bei ihm Motive auch von Hand oder mit einem Grafikprogramm auf dem Computer. Am Ende ist es vielleicht nicht gerade klassische Seelsorge, die beim Tätowieren passiert. 

Aber nicht nur die Tattoos selbst können von den Wegen der Menschen mit Gott erzählen. Wenn in stundenlangen Tätowiersitzungen die Nadel surrt und der Schmerz sich langsam steigert, beginnen manche, von dem zu erzählen, was ihnen wichtig ist im Leben - so wichtig, dass es unter die Haut geht.


top